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Stückporträt Shakespeare is dead – get over it!
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Es steht alles in Anführungszeichen
von Andreas Klaeui
Zufall oder Koinzidenz? Das geflügelte Wort der französischen Comic-Familie Fenouillard (der im deutschen Sprachraum zu Unrecht kaum bekannten Gründerzeit-Vorfahrin aller bandes dessinées) kann dem Leser von Paul Pourveurs "Shakespeare is dead, get over it!" schon in den Sinn kommen. Nicht, weil Pourveur Provinzfamilienpossen beschriebe, nicht einmal, weil die beiden sich in ihrem kaustischen Humor sogar noch treffen könnten. Aber wegen ihrer ungerührten Betrachtung von Fügung und Vorsehung: "Hasard ou coïncidence?" – das "Schicksal" führt Anna und William zusammen, und zwar, launisch genug, ausgerechnet während einer Retrospektive der Filme von Jean-Luc Godard.
Sie ist Schauspielerin, Shakespeare bedeutet ihr alles; er ist praktizierender Globalisierungsgegner. Eine Liebesgeschichte beginnt, die für einen utopischen Moment tatsächlich fragloses Glück verspricht, obwohl Anna immer noch T-Shirts "made in San Salvador" kauft und William mit alten Geschichten von elisabethanischen Königen nichts anfangen kann. Das Ende ist tragisch, William verbrennt im Globe Theatre, das er aus Eifersucht angezündet hat, Anna ertränkt sich in ihrem Wagen, beides "am 5. August".
Vom Damhirsch über Milton Friedmann zum Paradies
Die Geschichte von William und Anna ist der erzählerisch am konkretesten zu fassende Strang von Pourveurs Stück. Denn "am 5. August" geschehen auch viele weitere bemerkenswerte Dinge. William (ein anderer? der gleiche?) frevelt in Stratford-upon-Avon einen Hirschen und flieht nach London, um eine Weltkarriere als Dramatiker in Angriff zu nehmen. Margarete und Roland sollen für die Schule ein Werk von Milton lesen, greifen stattdessen zu Milton Friedman und dessen Ökonomiebuch "Free to choose" und instruieren sich also statt über Gottvater und Paradies über Gott Markt.
Naomi und Noreena demonstrieren gegen die Globalisierung, dank Internet-Zugriff auf den kompletten Planeten zusammen mit Millionen anderen. Werner und Niels erkennen, dass Shakespeare gleichzeitig existent wie nichtexistent ist. Und so weiter – es hängt alles mit allem zusammen, alles bleibt disparat, das Diskursnetz entwickelt ein turbulentes Eigenleben und bis dahin ist die Frage nach einem allfälligen Sinn noch nicht einmal gestellt. Geschweige denn nach den "wirklichen" Vorgängen: War es jetzt "Le mépris" oder "Deux ou trois choses que je sais d'elle", was Anna und William im Kino zusammengeführt hat?
Jede Epoche bestimmt ihre Themen neu!
Der Belgier Paul Pourveur schrieb mit "Shakespeare is dead, get over it!" einen Theatertext, bei dem einerseits die desaströsen Folgen der Globalisierung im Zentrum stehen, andererseits das Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit (zu schweigen von einer, womöglich besseren, Zukunft), die stetige versuchte Revitalisierung der Vergangenheit, also zum Beispiel das gerade in Theaterkreisen virulente Denken, anhand der Vergangenheit lasse sich die Gegenwart erklären und verstehen.
Das glaubt Paul Pourveur nicht: "So was behaupten Regisseure!", enerviert er sich, "gewiss, es gibt die großen Themen, Liebe, Hass, Krieg, die immer wiederkehren. Aber jede Epoche bestimmt sie neu. Es ist der Kontext, der sie definiert. Nicht die Geschichte; nicht eine irgendwie geartete Kontinuität." Er habe mal einen "Macbeth" gesehen, den der Regisseur mit dem Krieg in Jugoslawien und der Person von Slobodan Milošević kurzgeschlossen habe. "Das heißt dann doch den Bogen überspannen! Shakespeares Dramen sind kein Instrument, mit dem man das Heute griffig erklären kann."